Zurück

Bei jedem Abenteuer und jeder Reise gibt es diesen einen Moment. Da wird man vom Abenteurer zum Alltägler. Vom Reisenden zu Gereisten. Eine Sekunde noch mittendrin, in der nächsten wird alles zur Erinnerung.
Dieser Moment war für uns, als wir am Münchner Flughafen den ersten Schritt aus dem Flugzeug auf die Gangway gesetzt haben. Ein erster Atemzug kalte Luft. Und ein Tränchen, das die Wange herunterkullerte.
Heimkommen nach München war noch nie meine Stärke. Oder nennen wir es besser Zurückkommen nach München.

Erfreulicherweise wurden wir trotz der Ankunft zur sehr frühen Morgenzeit von bekannten Gesichtern in Empfang genommen und waren sehr dankbar, dass wir unsere 7 x 23 kg Gepäck plus zwei Surfbretter nicht im Berufsverkehr mit der S-Bahn nach Hause schleifen mussten.
Es war ein kalter Morgen und die Sonne ging auf, als wir bereits auf der Autobahn in Richtung Stadt waren. Wie geordnet und funktional die Landschaft aussah. Wie viele Spuren diese Straßen haben. Und wie viele Schilder überall herumstehen. Ich meine, wir kennen das ja eigentlich alles, mit einem Jahr Abstand wirkte alles so fremd und eckig und vielleicht sogar ein bisschen zu durchorganisiert. Irgendwo standen auf einem kahlen Feld drei Rehe neben der Autobahn. Was für tapfere Tiere. In der Kälte, auf diesem nackten, eckigen Feld. 

Mittlerweile sind wir in unser Haus eingezogen und haben fast alle Kisten ausgepackt. Heute kam auch endlich das Klavier, so dass wir wieder vollzählig sind. Es ist lustig, mit wie vielen Klaviertransporten wir in einem Jahr zu tun hatten. Fünf um genau zu sein.
Wir haben nun eine Runde Corona, Weihnachten zu dritt (dank Corona), Silvester, ein paar Spaziergänge im Schwarzweißfilm da draußen, einen Schulstart und den ein oder anderen Sturm hinter uns.
Das mit den Stürmen ist ne lustige Sache. Wir bemerken die gar nicht, wenn uns nicht jemand darauf hinweist. Wahrscheinlich, weil wir hier so unfassbar dichte Fenster haben und so ein Sturm tatsächlich draußen bleibt und nicht mit durchs Haus pfeift. 
Völlig verweichlicht sind wir außerdem. Ging ich doch gestern bei 18 Grad im Schlafzimmer ins Bett und es kam mir wirklich kalt vor. Was hätten wir uns in Kapstadt im Winter gefreut, wenn wir in irgendeinem Zimmer jemals 18 Grad gehabt hätten. Geschlafen haben wir meist bei um die 12 bis 13 Grad.
Aber tatsächlich sind dichte Fenster und eine Zentralheizung eeeeecht feine Sachen. Genauso wie mein Föhn mit mehreren Stufen, die Tatsache, dass man rund um die Uhr den Backofen benutzen oder sein Handy laden kann und das Spazierengehen alleine und im Dunkeln. Der erste Spaziergang nachts alleine zur Christmette war wirklich sehr ungewohnt. Genauso wie den lieben Raphael abends um 9 aus dem Training von Allach mit Umstieg an der Donnersberger Brücke nach Hause fahren zu lassen.
Außerdem gewöhnungsbedürftig, dass man an der Tankstelle selber tankt, das deutsche Supermarktkassen-Ellenbogen-Anstellsystem und das Fehlen dieser allgegenwärtigen Herzlichkeit und Freundlichkeit. Auch daran werden wir uns wieder gewöhnen. Leider.

Insgesamt hält sich die Euphorie bei Sandi und mir doch arg in Grenzen. Wir haben noch nicht den Weg zurück gefunden. Physisch schon. Mental noch nicht. Weshalb ich schon seit 2 Wochen vor mir herschiebe, diesen letzten Post zu schreiben. Irgendwie positiv soll das Ganze ja enden ...

Wenn ich mir überlege, was wir in den vergangenen 15 bis 18 Monaten für dieses Jahr in Südafrika alles getan haben, dann ist das völlig irrsinnig.
Wie viele Stunden, Tage, Wochen wir ins Organisieren gesteckt haben. 
Neue Schule. Schulbefreiung hier. Visa (oh mein Gott, Visa!!!). Autos. Häuser. Umzüge. Versicherungen. Mitgliedschaften. Verträge ... 
Wie viele Dinge wir aussortiert, verkauft, gespendet, verschenkt, eingepackt, verschickt, eingelagert, weggefahren, abgeholt, gekauft, getragen und ausgepackt haben. Hier und dort. 
Wie oft wir alleine umgezogen sind. 4 Mal in einem Jahr. 
In wie vielen unterschiedlichen Betten oder Zeltplätzen wir geschlafen haben. 45 um genau zu sein, plus 4 Flugzeuge (6 für Sandi), den Boden in den Ruheräumen an den Flughäfen von Doha, Amsterdam und Dubai, sowie für Raphael ich weiß nicht wie viele Sofas oder Böden bei irgendwelchen Übernachtungsparties). 
Wie oft die Lichtmaschine bei unserem Jeep repariert wurde. Entschuldigung, 'repariert' wurde. 
Wie viele Kilometer wir gefahren sind. 
Wie viele Unwägbarkeiten wir aus dem Weg räumen mussten mit undichten Dächern, überlaufenden Pools, Flöhen im Sofa, nach dem ersten Waschen eingegangenen Schuluniformen, verstopften Abwasserrohren, Schulbüchern, die aus Deutschland mitgebracht werden mussten (18kg! Bücher), sich abtauenden Kühlschränken, wenn man vor einer Reise nicht genug Guthaben für den Strom (prepaid!) aufgeladen hatte, einer Kakerlakeninvasion in Hout Bay, einem fast abgebrannten Haus, einem trotz des größten Aufwands nicht mitgereisten Cello, Nagetieren in der Garage, die sich gerne über unseren Recyclingmüll hergemacht haben (und die räumen nach ihrer Party nicht wieder auf), dem längsten, kältesten und nassesten Winter aller Zeiten, einem sandgestrahlten Auto, einem geplatzten Boiler und einem Überfall auf unseren Jüngsten. Manchmal haben wir gedacht, alles hätte sich gegen uns verschworen. Dass es irgendwie nicht sein soll. 

Und dennoch, jedes Mal wenn wir über den Kloof Nek gefahren sind und sich der Atlantik vor unseren Augen aussteckte, jedes Mal wenn wir den Pipe Track am Fuße des Tafelbergs gelaufen sind, jedes Mal, wenn wir vom Signal Hill die Twelve Apostle entlanggeschaut haben, jedes Mal, wenn Sandi und Philipp im schneeweißen Sand von Clifton Beachvolleyball gespielt haben, jedes Mal, wenn Raphael mit seinem Surfbrett in den eiskalten Wellen verschwunden ist, jedes Mal wenn ich von der Terrasse auf den Tafelberg geschaut habe, jedes Mal, wenn wir vom Cape Point in die rauhe See hinuntergeblickt haben oder jedes Mal wenn wir in einem Restaurant mit einen strahlenden Lächeln begrüßt wurden, dann waren sandgestrahlte Autos, geplatzte Boiler oder der nächtliche Fehlalarm der Alarmanlage wieder vergessen.
Der Aufwand, den wir betrieben haben, der war enorm. Und jeder Handgriff, jeder Euro, jede Mail, jede Minute, jedes Telefonat, jede Tabelle in Google Sheets, jedes echte Blatt Papier und jede Herausforderung waren es wert.
Und wir können es jedem nur empfehlen. In jeglicher Hinsicht.

Die Erfahrungen und Erinnerungen, die neuen Perspektiven und die Bilder im Kopf sind ein Schatz, den uns niemand jemals wird nehmen können. Und von dieser Reise haben wir einen besonders reichen Schatz mit nach Hause gebracht, der sich besonders tief in unsere Herzen eingegraben hat.
Und auch wenn Sandi und ich noch mit Wehmut und Fernweh zu kämpfen haben, wir wissen, dass wir wiederkommen werden.
Mein guter alter Freund Winnie Pooh verpackt es wie immer in die richtigen Worte:

"How lucky I am to have something that makes saying goodbye so hard."


Ich bin dankbar, dass ich einen Mann habe, der all diese verrückten Ideen, die meinem Hirn entspringen, mit mir in die Tat umsetzt. Schließlich begann das Abenteuer Südafrika an einem Februartag vor zwei Jahren, als ich beim Blick auf unsere Landkarte über dem Esstisch 'Cape Town' las und wusste: Das ist es!
Sandi brauchte am Abend, als ich ihm meine Idee unterbreitete, ungefähr eine halbe Sekunde, um JA zu sagen.

Ich bin außerdem dankbar für meine beiden Reisekinder. Die sich auch auf dieses Unterfangen eingelassen und es mit so viel Leichtigkeit und Unvoreingenommenheit gemeistert haben. Sie haben sich einfach zurechtgefunden, so als wären sie schon immer dort gewesen. Sie haben Freundschaften geschlossen, fantastisch gute Noten geschrieben, neue Hobbies ausprobiert und 4 Wochen Campen in der eiskalten Wüste überstanden. Ich freue mich darauf, sie in ein paar Jahren in ihre Selbstständigkeit zu entlassen mit der Gewissheit, dass sie es im Leben überall werden schaffen können.


Nach dem Abenteuer ist vor dem Abenteuer! Wer weiß, wo uns das nächste hinführt. Ich weiß nur eines: ich freue mich darauf!
Das nächste große wird vermutlich eines ohne Kinder sein, da die dann ihrer eigenen Wege gehen und ihre eigenen Abenteuer bestehen werden.
Kind und Kegel, Sack und Pack schließt daher mit dem Kapitel Südafrika auch diesen Blog und sagt Lebwohl, Farewell und Totsiens.


Ich sage herzlichen Dank fürs Mitreisen und Eure Kommentare und Rückmeldungen. Ich habe mich über jede einzelne gefreut. 

Kommentare

  1. Wie schön es war mitzureisen. Ich bewundere Euren Mut und Eure Ausdauer. Vielleicht ploppt ja dann Mal ein neuer Blog auf...👋

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  2. Liebe Antonia, kennst du das Gefühl, wenn man einen richtig guten Roman fertig gelesen hat, dieses wehmütige Gefühl, das es jetzt leider vorbei ist. Ja, auch ich bin wehmütig, wenn natürlich nicht in dem Maße wie ihr, aber ich habe es so genossen euch zu begleiten und in deinen Erzählungen die Orte wieder zu erkennen an denen ich vor 20 Jahren war. Es scheint sich nichts verändert zu haben, für die Natur sind 20 Jahre nichts. Ich danke dir von Herzen für die kleinen Auszeiten vom Alltag ♥️

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    1. Liebe Simone, ich freue mich, dass Du so fleißig mitgereist bist und dass es Dir ein bisschen Freude bereitet hat. Beim nächsten großen Abenteuer nehme ich Dich gerne wieder mit. Ideen gibt es schon 😉

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  3. Liebe Simone, du sprichst mir aus der Seele, ja, wie ein Roman, den man beseelt und ein wenig wehmütig zuklappt. Danke, liebe Antonia, für die Gedankenreise, die du mir ermöglicht hast. Es bleibt so einiges, was noch hinterfragt und sortiert werden will, denn auch ich nehme einen kleinen Rucksack voller Impulse mit von eurer Reise. Der Trend geht zur Serie.. Allerdings finde ich auch einen ganz frischen Roman vom selben Autor sehr reizvoll. Bleibe gerne auf deiner "Abo-Liste".

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