Verliebt

Ich habe mich verliebt. 
Es war Liebe auf den ersten Blick.
Sie ist etwa sieben Monate alt, eine Wasserratte sondersgleichen, hat eine niedliche, wärmende Speckschicht, klitzekleine spitze Öhrchen und dichtes, kurzes Haar. Aber ihre Augen solltet Ihr erst sehen, ihre unwiderstehlichen, kugelrunden Augen.
Auch Raphael hat seine große Liebe gefunden oder besser gesagt, sie ihn. Anfangs war sie noch ein bisschen bissig, aber bald wollte sie Raphael nicht mehr von der Seite weichen. Und auch ihre Augen... zum Dahinschmelzen.
Ich glaube, ich hatte einen der besten Vormittage aller Zeiten. Wir waren Robbenkayaken.
Meine Güte, war das schön!
Etwas außerhalb von Walvis Bay gibt es ein paar Robbenkolonien. Und im Wasser tummeln sich dort hunderte von Jungtieren, während die Mütter sich am Strand sonnen. Es ist wie ein riesiger Robbenkindergarten im Wasser. 
Das Wasser ist dort so seicht, dass die Robben keine Räuber fürchten müssen und so sind sie im Wasser auch kein Bisschen scheu. Im Gegensatz zum Land, wo mit Hyänen und Schakalen durchaus Gefahr lauert und man sich den Robben nicht nähern kann.

Aber im Wasser. Raphael und ich fuhren etwa eine halbe Minute hinaus, da saß die erste auf dem Kayak vorne drauf.
Da die Robben so neugierig sind - sie sind wirklich unglaubich neugierig - soll man singen oder mit ihnen reden oder andere interessante Geräusche machen, damit sie einen schön interessant finden. Raphael und ich haben zwei Stunden gepfiffen, gesungen und Blödsinn geredet. Was soll man auch zwei Stunden lang mit Robben so alles bereden?

Aber wir waren erfolgreich. Sie haben uns interessiert umkreist, ihre Köpfchen neugierig aus dem Wasser gestreckt, an unseren Paddeln geknabbert, unsere Hände angestupst und uns ihre Bäuche hingedreht, damit wir sie streicheln konnten. Raphaels Freundin saß etwa eine halbe Stunde hinten auf dem Kayak und hat sich gesonnt, bis sie trocken war. Meine große Liebe hat sich einen Spaß daraus gemacht vorne auf den Bug zu springen, sich einmal kurz streicheln zu lassen, wieder ins Wasser zu glitschen, unter dem Kayak durchzutauchen und wieder hochzuspringen. Später ist sie immer von einer Seite des Kayaks zur anderen geschwommen, hat meine Hand angestupst, sich auf den Bauch gedreht, sich kraulen lassen und dann das gleiche Spiel auf der anderen Seite.
Theoretisch wäre es an der Stelle möglich gewesen, Delphine und Wale zu sehen. Aber wer hätte dafür schon Augen gehabt??? Wir waren vollkommen vereinnahmt von dem Gequirle und Getümmel um uns herum und was kann man sich besseres vorstellen als kleine Robben, die einen neugierig beobachten, während man in einem Kayak sitzend Weihnachtslieder singt oder einen mit einem kleinen Knuff mit ihrem Schnäutzchen erinnern, dass sie gekrault werden möchten? Ich hätte ewig dort bleiben können.
Der gesamte Ausflug an dem Morgen war ein Traum. Sonnenaufgang über den Dünen, Fahrt um die Lagune, in der tausende von rosa bis pinken Flamingos im dunkelblauen Wasser standen, Pelikane zum Abwinken, Schakale am Strand.

Der Kontrast zwischen der leblos wirkenden Wüste und dem Reichtum an Leben im und am Wasser könnte größer nicht sein.

Am nächsten Tag haben wir uns einer Tour in die Wüste angeschlossen. Und auch dort war es faszinierend, dass man am Strand Kolonien mit Hunderten von Kormoranen sieht, während auf der anderen Seite durch die Dünen einzelne Straußen ziehen, denen man so sehr wünschen würde, dass auch sie ein etwas wirtlicheres Zuhause hätten.

Und auch wenn man weiß, dass es für jeden noch so lebensfeindlich wirkenden Ort Lebewesen gibt, die sich dort ganz pudelwohhl fühlen, so ist es an einem Ort wie den Dünen der Namib Wüste doch absolut unvorstellbar. Sand, Sand und nochmals Sand so weit das Auge reicht. Und es ist ganz erstaunlich, dass etwas, das so wenig ist, so wunderschön sein kann. Sand. Einfach nur Sand. Große Dünen, kleine Dünen. Steile Dünen, flache Dünen. Aber eben einfach nur Sand. Und einfach wunderschön.
Die Namib ist einer der wenigen Orte auf der Welt, wo die Wüste direkt am Meer endet. Man weiß nicht, ob das Meer die Wüste begrenzt oder die Wüste das Meer. Vielleicht haben an dieser Stelle, an der sich die gewaligen Sanddünen am Strand aufbauen, das Meer und die Wüste jeweils ihren Meister gefunden. Wie ein Patt. Zwei so gewaltig große Mächte, die aufeinandertreffen und beide nicht weiterkönnen. Sie scheinen sich arrangiert zu haben. Sie hatten schon ein paar Millionen Jahre Zeit, das auszufechten. Und sie haben das getan auf die pittoreskeste Art und Weise. 
Die weichen Dünen, die soweit reichen, bis der Dunst sie irgenwo verschluckt, mit ihren feinen, senkrecht zum Strand stehenden Wellenmustern im Sand und dazu das Meer mit seinen parallel zum Strand brechenden Wellen. Gewaltige, mächtige Wellen, irgendwo dort unten am Fuß der Düne. Die Sonne im Gesicht, den Wind in den Haaren, ein bisschen Sand zwischen den Zähnen, könnte man dort ewig sitzen und schauen. Die nächste Welle noch... nur noch eine...

Eine Landschaft, die sich ändert, in jedem Moment, Welle um Welle, Sandkorn um Sandkorn verändert. Unaufhörlich vom Wind getrieben. Und trotzdem und deswegen für die Ewigkeit.

Und bis in diese Ewigkeit werden Oryxantilopen die Dünen durchstreifen, Schlangen ihre Spuren hinterlassen, Schakale am Strand patroullieren, Straußen durch die Wüste schreiten und kleine, zerbrechlich wirkende Wüstengeckos auf die Kühle der Nacht warten.

Und wir ziehen einmal mehr den Hut vor der Natur und ihrem tollkühnen Einfallsreichtum. Sie hätte diesen lebensfeindlichen Ort einfach übersehen können. Hat sie aber nicht. Sie hat das irgendwie ausgetüftelt. Beharrlich muss sie da gewesen sein. Sehr beharrlich.



Kommentare

  1. Bei deiner Erzählung hat man das Gefühl die Wellen, den Wind und den Sand zu spüren! Eine fantastische Abwechslung zum Starren auf Tastatur und Bildschirm im Büro😀 Wünsche euch noch viele wunderschöne Impressionen🤗Steffi

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