Benguela-Strom

Der Sommer schreitet voran und die Sonne verabschiedet sich ganz langsam aber unaufhaltsam zu Euch. Noch halten wir sie ein bisschen fest, vielleicht können wir sie ja alle noch eine Weile teilen.

Während die Sonne noch vor wenigen Wochen von unserer Terrasse aus gesehen weit westlich vom Lions Head unterging, irgendwann dann genau hinter dem Lions Head, senkt sie sich mittlerweile weit östlich davon. Das ist insofern eine Verbesserung, als dass wir persönlich länger Sonne haben, ganz grundsätzlich geht sie mittlerweile aber doch schon ganz schön früh unter. 
Bald verlieren wir sogar unsere Stunde Zeitvorsprung, wenn Ihr mit der Sommerzeit in unsere Richtung rückt. 
Und es waren ein paar Tage dabei, an denen wir durchaus froh waren, dass wir lange Hosen, geschlossene Schuhe und Pullover dabei haben. Ich hatte sogar zum ersten Mal einen ganzen Tag lang Socken an! Philipp hat eine Jacke angezogen und Raphael hätte auf seine dicke Daunendecke am liebsten noch ein paar Lagen Wolldecken getürmt. 
Außerdem halte ich Ausschau nach einem netten Wollgeschäft, in dem ich Häkelgarn erstehen kann, um uns daraus Zugluftstopperwürste zu häkeln, denn das, was da letzte Woche als Vorbote des Herbst durch die Spalten unter den Türen ins und durchs Haus geweht ist, lässt keinen gemütlichen Winter erwarten. Wenn geschlossene Zimmertüren bei geschlossenen Außentüren und geschlossenen Fenstern bei Wind dennoch klappern, dann denke ich, brauche ich nichts mehr zu sagen zum Thema Zugluft im Haus. 

Wenn aber auch der Sommer sich langsam verabschiedet (was ich gerade an einem zwischendurch mal wieder ziemlich heißen Tag schreibe), so gibt es doch eine ziemlich verlässliche Konstante und die wird sich auch im Herbst und Winter nicht ändern. 
Und die heißt kaltes Wasser.
Eiskaltes, arschkaltes, megakaltes, saukaltes Wasser.

Für einen ganz kurzen Moment wenn man zum Strand geht, man über die Kuppe kommt an einem das Hirn wegbrutzelnd heißen Tag und man das Wasser sieht, wie es verlockend an den Strand schwappt, dann vergisst man für einen ganz kurzen, nach Erfrischung lechzenden Moment, dass das Wasser da unten ursprünglich ausschließlich für Robben und Wale und Pinguine gedacht war. Für Tiere mit einer dicken Schicht aus wärmendem, braunem Fettgewebe, über das wir Menschen leider auch mit noch so viel Fett um Bauch und Hüften leider nicht verfügen. Wenn wir Landtiere also unsere Füße, deren Sohlen wir uns auf dem Weg zum erlösenden Nass im viel zu heißen Sand eben noch aufgebrannt haben, verheißungsvoll ins Wasser halten, dann wird schnell klar, wo der Vorteil von so kleinen Pinguinfüßchen liegt, deren Durchblutung und Temperatur je nach Umgebung ziemlich drastisch reguliert werden kann. Unsere Füße, leider, fangen je nach Tagesform des Meeres entweder nach zwei oder spätestens nach sieben Sekunden an zu schmerzen, zu kribbeln und zu verkrampfen.
Es gibt eigentlich nur drei Arten von Menschen, die die Temperaturen hier aushalten: 
Kinder unter 12 Jahren, Anhänger von Wim Hoff oder Surfer. Letztere allerdings nur mit 7mm Neoprenanzug plus Unterhemd mit Kapuze plus Booties plus Handschuhe. Und selbst dann muss man das mit dem Surfen noch immer so richtig, richtig wollen! 
Ich hab eben mal nachgeschaut. Llandadno bringt es heute auf eine Wassertemperatur von 14,6°, das als warm geltende Muizenberg auf 16,7° und an unserem nächsten Strand Clifton, wo Sandi und Philipp gleich nach dem Beachvolleyball ein erfrischendes Bad nehmen werden, beträgt die Temperatur aktuell 14,4°. 

Aber warum ist das so? Es ist doch total heiß hier und warum bekommt das Meer davon so gar nichts ab?
Die Antwort heißt Benguela-Strom.
Hinter diesem wohlklingenden Namen verbirgt sich ein Ableger des Antartkischen Zirkumpolarstroms, in dem ein Teil des eiskalten, arktischen Wasser beschlossen hat, nicht mehr weiter um die Antarktis zu kreisen, sondern sich nach Norden aufzumachen. In Richtung Kap der Guten Hoffnung und von dort weiter die Westküste des südlichen Afrika hinauf, bevor die Strömung in Höhe des Äquators scharf nach Westen abknickt und für ein bisschen Abkühlung des atlantischen Südäquatorialstroms sorgt. 
Im Verlauf des Stroms und vor der Küste Namibias sorgt Auftrieb dafür, dass zusätzlich zum antarktischen Wasser kaltes Wasser aus der Tiefsee nach oben gebracht wird und so den Strom weiterhin mit kaltem aber auch sehr sauerstoff- und nährstoffreichem Wasser versorgt, welches die Grundlage bildet für den Fisch- und Artenreichtum in den Gewässern vor Namibia.
Die kalte Strömung beeinflusst auch nicht nur das Leben unter Wasser, es gestaltet die angrenzenden Länder bis weit, weit in den Kontinent hinein. Namibia hätte keine Namib Wüste ohne Benguela-Strom und die südafrikanische Kalahari oder die Karoo wären auch nicht, was sie sind. Denn das Abkühlen der Luft über dem kalten Meer verhindert die Bildung aufsteigender, feuchterer Luftmassen und führt zu ablandigen Winden, so dass es in Namibia fast nie regnet. Ein ganz schön ausgeklügeltes System, das da nötig war, die Namib-Wüste entstehen zu lassen. Aber dazu mehr, wenn wir in Namibia sind. Erinnert mich dran!
Die Regierung Namibias hat im Übrigen im Jahr 2016 beantragt, dass der Benguela-Strom, der seinen Namen von der angolanischen Stadt Benguela hat, in die UNESCO Welterbe-Liste aufnehmen zu lassen. Dann stellt sich nur noch die Frage, wie wir Menschen etwas so Großem wie einer Meeresströmung den Schutz zukommen lassen können, die es bräuchte, um auch in Millionen Jahren noch die Robben und Pinguine mit genügend Fisch zu versorgen. 

Aber weil nur kalt ja langweilig wäre und Südafrika nicht nur eine Westküste hat, gibt es da natürlich auch noch den warmen Gegenspieler an der Ostküste: den Agulhas-Strom. 
Dieser ist nur nicht so spektakulär wie sein Bruder im Westen. Denn er macht genau das, was man erwarten würde. Er macht das Wasser warm. 
Er fließt die Ostküste Südafrikas hinunter mit warmem Wasser aus Mosambik und darin lässt es sich trotz oder gerade wegen aller Unspektakulärheit ganz herrlich baden.
Im Winter kommen die Wale in die warmen Gewässer etwas östlich von Kapstadt um zu kalben, denn der Benguela-Strom wäre selbst einem Walbaby zu kalt. Aber auch dazu mehr, wenn die Wale da sind und wir sie für Euch beobachtet haben!

Der pazifische Agulhas- und der atlantische Benguela-Strom treffen sich allerdings tatsächlich nicht da, wo man es allgemein vermutet. Sie treffen sich nicht am Kap der Guten Hoffnung, wenn es auch gar so sehr romantisch wäre. Nein, sie haben diesen dramatischen Punkt knapp verfehlt und sich stattdessen das Kap Agulhas ausgesucht, ca. 130 km Luftlinie vom Kap der Guten Hoffnung entfernt. Immerhin ist das Kap Agulhas der südlichste Punkt Afrikas und somit auch irgendwie spektakulär... so rein theoretisch. Denn wenn man dort steht, würde man nicht etwas so Bedeutsames vor sich vermuten wie das offizielle sich Treffen von zwei Ozeanen. Von zwei riesigen, unendlichen Ozeanen, die genau dort ihr Ende finden. 



P.s. und noch ein ganz anderes Thema: Ein herzliches Dankeschön den Eierspendern. Oder besser gesagt Eierspenderinnen, denn sie waren allesamt weiblich. Da ich jede Woche Eier koche und wegbringe, ist es übrigens auch nie zu spät. Ihr könnt mir jederzeit Eiergeld schicken. Heute habe ich 10 Kartons einer Spenderin weggebracht. Die Sammelstelle hat sich gefreut, die Abholer werden sich gefreut haben, die Kinder, die die Eier bekommen, werden sich freuen, ich habe mich gefreut, 4 riesige Töpfe Eier zu kochen und die Spenderin hat sich über die Fotos gefreut. Also alles in allem ziemlich viel Freude. Wenn Ihr Teil davon werden möchtet, jederzeit! Und: auch Männer dürfen sich mit freuen und Eier in den Topf legen!


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