Alte Steine


Hier sind die ersten Ferien. Herbstferien heißen sie. Sie markieren das Ende von Term 1 und dauern erfreuliche drei Wochen.
Woche eins haben wir - und Philipp ist heilfroh, dass seine Oma und Tante zu Besuch kommen und es deshalb nicht wesentlich länger werden konnte - in den Cederbergen verbracht. 
Mit Campen.
Philipp fragte nach dem Zeltaufbauen, was man denn nun so machen würde, wo alles erledigt sei. Und nach etwa 12 Stunden stellte er fest, dass das mit dem Campen irgendwo in der Wildnis nicht so seines ist. Sternschnuppen und Milchstraße hin oder her, Kühlschrank, WLAN und eine Matratze haben doch so ihre Vorteile. 
Und immer dieses Abwaschen.... Völlig verblüfft haben wir festgestellt, dass Philipp bis Mittwoch noch nie in seinem Leben abgewaschen hatte. Wir wissen nicht, wie er es geschafft hat, da über 16 Jahre drumrum gekommen zu sein, sehr geschickt muss er es angestellt haben. Raphael ist noch immer fassungslos. Diese abwaschfreie Serie nahm nun ein jähes Ende. 

Die Cederberge liegen 200-300 km nördlich vom Kapstadt und ich bin so nett und erspare Euch einen Essay über die geologische Entstehungsgeschichte des Gebirges, wenn ich diesen bei Interesse auch sehr gerne nachreiche. Aber ich habe meine armen Kinder schon genug gequält mit Sandsteinformationen, Urkontinenten und Plattentektonik, mein Lehr-Bedürfnis ist erstmal gestillt.
Aber eines kann ich sagen: die Cederberge sind alte Berge. Sehr alte Berge. Und es ist unfassbar, mit welchem Ideenreichtum an Formen und Farben die Natur sich mit nichts als Wasser, Wind und Zeit an einem Sandsteingebirge kreativ entfalten kann. Man wandert durch die Landschaft und denkt bei jedem neuen Felsen, vor jeder neuen Biegung, nach jeder neuen Höhle 'Jetzt habe ich aber alles gesehen, was soll denn nun noch weiter kommen?' und man biegt um den nächsten Felsen um noch mehr zu staunen. Und man steht in und zwischen was aussieht wie versunkene Städte, verwitterte Kathedralen, versteinerte Fabelwesen oder verwunschene Gärten und man kann sich stundenlang verlieren in Felsformationen, die so bizarr und unwirklich aussehen und allen Regeln von Physik und Schwerkraft zu trotzen scheinen. Tollkühn aufeinander balancierende Felsen, auf filigranen Säulen lagernde Berge, schwindelerregende Überhänge, durchlöcherte Wände. 
Und doch kann man es alles anfassen und es scheint völlig real und mehr als ein Traum zu sein.

Als wäre diese fast schon überwältigende Naturschönheit noch nicht genug, sind die schroffen Cederberge mit über 2.500 entdeckten Kunstwerken der Ort mit der höchsten Dichte an erhaltener Felsenmalerei weltweit. Felsenmalerei der San, welche über 100.000 Jahre als Jäger und Sammler durchs südliche Afrika streiften und in fast unendlicher Zeitlosigkeit auch in den Cederbergen und ihren Höhlen eine Heimat hatten. Die Datierung der Kunstwerke ist oft schwierig, sie werden jedoch teilweise auf ein Alter bis zu 2.000 bis 8.000 Jahre geschätzt. Und wir können sie noch heute ansehen. Ist das nicht verrückt und völlig unglaublich und unglaublich inspirierend?

Allerdings wäre unsere Woche langweilig gewesen, hätten wir nur Felsen und Malerei angesehen (wenn auch insbesondere Philipp sehr gelitten hat, da es ihm vorkam, als hätten wir nichts anderes gemacht, als alte Steine anzuschauen). Aber nein, diese Natur, von deren Ideenreichtum ich sprach, hat sich auch für uns was einfallen lassen. Wir hatten den Wetterbericht schon brav studiert und noch zwei Tage vor unser Abreise hatte es 40 Grad, nachts 26 Grad gehabt. Autschi, dachten wir und waren erleichtert, dass es kühler werden sollte. 
Dass es dann allerdings auf dem Hochplateau der Kagga Kamma erstens regnen und zweitens so kalt werden würde, dass man trotz warmer Schlafsäcke, Wollsocken, Leggins und Pullovern nachts schlotternd im Zelt lag, hätte nun auch keiner erwartet. Autschi.
Tagsüber kramten wir aus den Taschen, was wir nur rauskramen konnten. Das war nicht bei jedem etwas so nützliches wie eine Jacke oder eine lange Hose. Bei der einzigen Reiseteilnehmerin, die über Jacke, Hose, Pullover, Kleid UND Wollsocken verfügte, waren die Kleidungsstücke jedoch so wenig aufeinander abgestimmt (wer stimmt seine Regenjacke auf sein Sommerkleid ab oder seine Leggins auf seine kurzen Hosen?), dass zumindest die minderjährigen Reiseteilnehmer sehr froh waren, nur von bemalten Sandsteinen und nicht von anderen Menschen umgeben zu sein, hätten sie angesichts ihrer Mutter mit bunter Stoffhose unter dem Kleid unter der Regenjacke, den Wanderschuhen dazu und zu allem Übel einen Sonnenhut auf dem Kopf vor Fremdschämen extreme irgendwo zwischen den Felsen im Erdboden versinken müssen. 

Nachdem wir Abwaschen mit kaltem Wasser im eisigen Wind, Kochen im eisigen Wind, Essen im eisigen Wind, nachts aufs Klo gehen im eisigen Wind und überhaupt alles im eisigen Wind überlebt hatten, uns wirklich überaus dankbar an einem wunderschönen Sommertag mit blauem Himmel hinter den Sandsteinen erfreut hatten und nachts auf dem viel zu warmen Schlafsack geschwitzt hatten, da fiel der Natur etwas neues ein: Gewitter. Aber nicht so ein ganz normales Ich-donner-dann-mal-ein-bisschen-Gewitter. Nein. Es begann morgens um 9 mit Grollen in der Ferne und es kam unaufhaltsam näher. Langsam, sehr langsam. Aber ebenso bestimmt. Es kam und es blieb. Es sollte etwa 20 Stunden blitzen, donnern und schütten. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Die Blitze zuckten über unserem Tal und in der Ferne und dann wieder direkt über uns. Der Donner klang, als würde er krachend-grollend die Berge um uns herum in tausend Teile zerschmettern und ich war am nächsten Morgen beim ersten Blick aus dem Zelt ganz erstaunt, dass alles noch da stand, wo und wie es hingehörte
.
Wir waren trotz des Gewitters ziemlich tapfer und haben es tollkühn probiert und tatsächlich geschafft, eine halbe Stunde Gnade zu bekommen, in der wir eine Stelle mit Felsenmalerei besuchen durften... nachdem wir stundenlang in einem nahegelegenen Café gesessen hatten, einen Rooibostee mit aufgeschäumter Milch nach dem anderen geschlürft hatten und zack, uns das klitzekleine Fenster des nachlassenden Regens für unseren Spaziergang geschnappt haben, wie abends die Geckos die von unseren Küchenlampe angelockten Nachtfalter.


Und das war in der Tat sehr eindrucksvoll, also das mit dem schlechten Wetter bei den Felsen. Wenn es dort überall herunterläuft und tropft, dann sieht mal all die steten Tropfen, die die Steine höhlen und das ist so faszinierend, denn sie haben so irre viel Geduld, diese steten Tropfen.

Das Gewitter übrigens brachte in 24h 56mm Regen. Ein durchschnittlicher März bringt es auf 5mm Niederschlag. Im MONAT. Wir hatten also das 11-fache des Monatsniederschlags an nur einem Tag.
Aber unsere Zelte, tip top, alles dicht. Danke Decathlon.

Und dann kann ich Euch ein Bild natürlich auch nicht vorenthalten. Vom Kayaken. Ich beim Kayaken! Das ist aus zweierlei Gründen eine Sensation: Zum einen ist es nicht lange her, da hätte ich das Paddel kaum zwei Minuten halten können. Jetzt bin ich selbst gepaddelt!!! 
Zum anderen ist die braune Brühe sehenswert, auf der wir schippern. Das Wasser ist nicht immer so braun, zwei Tage zuvor war es noch ziemlich einladend und erfrischend gewesen. Aber nach 20h Wolkenbruch schaut es eben so aus. Hmmmm. Sandi und Raphael waren sogar darin baden, während Philipp und ich gerne auf diese Schlammpackung verzichtet haben.

Also, die Jungs haben ihre Feuertaufe in Sachen beschissenes Camping bestanden. Es kann nur besser werden. 
Und die Cederberge müssen schon etwas ganz besonderes sein, wenn sie trotz solch widriger Umstände als so einmalig wunderschön in unser Gedächtnis eingegangen sind. 


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