Verborgene Talente

Nur kurz vorab, damit Ihr nicht immer zu neidisch sein müsst: es herbstelt. Glaubt Ihr nicht? Wollte ich gestern auch nicht glauben, als ich die Vorhänge aufgemacht habe und da draußen nichts als Wasser und Wolken gesehen habe. Wasser von oben. Das komische Zeug, dass man, wartet mal.... Regen??? nennt? Der Lion's Head der uns sonst in der Früh so herzlich vor seinem blauen Himmel grüßt, war gestern weg. Einfach weg. 
Zum Glück ist er heute wieder da. Wäre auch irgendwie schade gewesen, wenn er ganz weg gewesen wäre. So ein schöner Berg.
Auf alle Fälle hat es gestern so geschüttet, wie wir es dieser Stadt nie zugetraut hätten. Dem Dach unseres Anbaus hingegen haben wir bis gestern zu viel zugetraut und festgestellt, dass es mehr ein Schönwetterdach ist. Und nach einem Gespräch mit unserem Vermieter über die geplanten Abdichtungsarbeiten wurde mir auch schnell klar, warum das Dach nicht ganz so dicht ist, wie so ein Mitteleuropäer es gewohnt ist und es sich vorstellt. So hat er, weil man auf das Glasdach schlecht von oben drauf kann, vor, es von innen abzudichten und so ist es wohl auch zuletzt gemacht worden. Was natürlich nicht besonders sinnvoll ist, weil das Wasser dann ja quasi schon drinnen ist und irgendwo in der Fuge rumgammelt, bis es irgendwann wieder aus der Fuge rausverdunstet ist. Nachdem es dort ein bisschen Vermodern und Fäulnis hinterlassen hat. Aber wenn man sich die Fester und Türen und die fingerdicken Spalten ansieht, dann wird einem schnell klar, dass hermetisches Abgedichtetsein nicht die Stärke von alten südafrikanischen Häusern ist. 
Gestern also hatten wir 16° und eine Sintflut und wir haben hoch erfreut festgestellt, dass wir tatsächlich lange Hosen, geschlossene Schuhe und Regenjacken eingepackt haben. Unter meinem Bettlaken heute Nacht habe ich sogar WOLLSOCKEN angezogen. Aber nicht dass Ihr zu viel Mitleid mit uns bekommen müsst, gerade sitze ich in der Sonne am Pool und es ist einfach nur PERFEKT!

Überschwemmungen allerdings kommen diese Woche schon fast inflationär. 
Eines Morgens war Raphaels Badezimmer überschwemmt. Überall Wasser. Wir haben es aufgewischt, außen und innen nach der Ursache dafür gesucht und nachdem wir nichts finden konnten, warum Wasser am Fensterrahmen heruntertropfen sollte bei strahlendem Sonnenschein, beschlossen, dass Raphael wohl Recht haben muss und es Außerirdische gewesen sein müssen. Als sich der Vorgang jedoch drei Tage später wiederholte und die Überschwemmung Raphaels Schlafzimmer mit vereinnahmte und seinen Teppich in ein übelst stinkendes Stück Sondermüll verwandelt hatte, dachten wir, vielleicht doch nochmal nach irdischen Ursachen suchen zu müssen. 
Wir fanden sie in Form eines tropfenden Boilers in der Decke. 
Inzwischen haben wir einen neuen und ich bin noch völlig baff, wie ein Installateur alleine in Raphaels Minibad und mit Hilfe einer Seilwinde erst den einen Boiler ausgebaut und zu Boden gelassen  und den neuen wieder hinaufmanövriert hat. Aber für zwei Installateure plus Boiler wäre in dem Bad auch kein Platz gewesen.

Aber zu den verborgenen Talenten.
Man sollte seine Kinder wirklich öfter mal was ausprobieren lassen. Was wohl noch alles in ihnen schlummert?
Philipps Sportlehrer jedenfalls hat in Philipp ein Talent für Speerwurf entdeckt. Ja, für Speerwurf.
Und ihn mit seinem Talent zu den Inter-School Track and Field Competitions der Table Bay Zone geschickt, einem Leichtathletikwettbewerb, an dem 58 Schulen aus dem Großraum Kapstadt teilgenommen haben. Den 200m Sprit hat er sich ebenfalls nicht entgehen lassen und der arme Raphael, der im Weitsprung, 200m und 1500m antreten wollte, war leider am Veranstaltungstag mit Fieber und krank im Bett. 
Dienstag also waren die Vorkämpfe und wir Eltern als Zuschauer brav zur Stelle. 
Was für ein Ereignis! Busladung über Busladung singender Athleten wurden vor dem großen Leichtathletikstadion vorgefahren und was war es für ein Tanzen und Singen und Trommeln und Anfeuern auf den Tribünen. Es war wunderschön und absolut erstaunlich, was für Gegenstände zu Percussionsinstrumenten taugen. So viele junge Leute, die den Sport, Spaß an der Freude und einen schulfreien Tag gefeiert haben. 
Die Leistungen gingen von Raunen und Beifall auf den Tribünen auslösenden hast-Du-den-Sprung-gesehen???-kraaaas!!!-Leistungen bis zu dabei-sein-ist alles-Vorstellungen und man hatte insbesondere beim Diskuswurf das Gefühl, als hätten einige der Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Wettkampftag zum ersten Mal einen Diskus in der Hand gehabt. Aber schlau gemacht. Wer würde sich für einen schulfreien Tag nicht kurz mal in den Diskuskäfig stellen?

Aus Philipps Schule waren etwas mehr als 30 Athleten am Start und etwa die Hälfte erreichte die Runde der Halbfinals am Freitag. Und was haben wir gelacht und uns gefreut, dass Philipp mit beiden seiner Disziplinen dabei war. Denn so ganz ehrlich gesagt hatte Philipp noch nicht viel öfter einen Speer geworfen als besagte Diskuswerfer ihren Diskus. Aber es reichte fürs Halbfinale, in dem es aufgrund des starken Windes recht turbulent zuging. Und siehe da, Philipp qualifizierte sich als Dritter für das FINALE am Samstag und wir lachten wieder und fragten uns, ob es bald zum südafrikanischen Meister der U17 reichen würde. Wenn er mal trainieren würde, wer weiß? 
Und was für unsere mitteleuropäischen inneren Uhren tatsächlich auch noch sehr bemerkenswert war, das war der Zeitrahmen, in dem sich das Ganze abspielte und mit welcher Selbstverständlichkeit sich da gewisse Freiräume gegönnt wurden. Erstmal fing der Wettbewerb 1,5 Stunden später an. Als wir eine Stunde nach eigentlichem Beginn das Stadion betraten, waren auch noch längst nicht alle Schülergruppen bis ins Stadion vorgedrungen und es kamen noch immer Busladungen singender Athleten an. Dann musste erstmal eine Besprechung der Teammanager abgehalten werden, bis irgendwann die 5000m-Läufer, die in der Kühle des Morgens hätten laufen sollen, auf die mittlerweile recht sonnige Bahn geschickt wurden. Durch Windunterbrechungen, nicht in den Zeitplan eingearbeitete Gebetspausen für muslimische Athleten und einen viel zu eng getakteten Zeitplan, verschoben sich die Wettbewerbe bei jedem Lauf nach hinten und nach hinten und nach hinten. Und nach hinten. 
Der Chipsstand, der Samosamann und der Wurstverkauf waren irgendwann leergefuttert und ich war dankbar, dass wenigstens der Wasserverkäufer noch Wasser verkaufte. Ich weiß nicht, in welcher Stage Loadshedding an jenem Freitag war, aber wir waren so lange in diesem Stadion, dass wir mehrere Loadshedding Slots abbekommen haben müssen, denn ich ging mehrere Male im Dunkeln und mit meiner Handytaschenlampe bewaffnet auf die Toilette. Eine Handytaschenlampe auf einer öffentlichen Toiletten ist übrigens eine herzlich unpraktische Lichtquelle. Aber das ist ein anderes Thema. Vielleicht nehme ich das nächste Mal eine Stirnlampe mit. 
Auf alle Fälle zog sich das Ereignis so lange hin, dass wir anstatt um 14.00 das Stadion erst gegen 19.00 verlassen haben und wir alle drei, inklusive des Läufers waren froh, dass Philipp es im 200m Sprint nicht ins Finale geschafft hat. Denn der Zeitplan wäre am nächsten Tag der gleiche gewesen. Und das Organisationsteam auch.
So begaben wir am Samstag nur für den Speerwurf ins Stadion, mittlerweile völlig routiniert was Parkplatzsituation, Kartenverkauf und Sicherheitskontrollen anging und mit nur zwei Stunden Verspätung ging es auch schon los. 
Es war ein etwas sonderbarer Wettkampf, in dem Versuche mehr nach Zufallsgenerator gültig oder ungültig gegeben wurden und leider erwischte Philipps weitester Wurf die rote Flagge, obwohl er eigentlich ziemlich eindeutig gültig war. Es traf mit diesem Schicksal allerdings nicht nur ihn und so wurde er in einem sehr knappen Feld Sechster.
ABER, und das hat gestern wieder für großes Amüsement gesorgt: für die nächste Runde wurde überraschenderweise die Ergebnisse des Halbfinals herangezogen (fragt uns nicht warum), so dass Philipp für die Ende dieser Woche stattfindenden Wettbewerbe der Western Province für das regionale Team Table Bay nominiert ist. Als einer von 4 Schülern seiner Schule. Und natürlich lässt er sich das nicht entgehen! Vielleicht trainiert er davor sogar nochmal? Wir sind gespannt auf Freitag und überaus dankbar, dass die Wettbewerbe in einem anderen Stadion stattfinden, wir fühlten uns schon etwas zu heimisch im Green Point Athletics Stadium. 
Drückt Philipp die Daumen für ein bisschen Rückenwind und etwas weniger Willkür beim Schiedsgericht. Ich werde berichten.

Ach, und angekommen sind wir nun auch wirklich. 
Wir betätigen beim Abbiegen nicht mehr den Scheibenwischer statt den Blinker. 
Wir setzen uns beim Essengehen bei nur 20° nach drinnen, weil uns sonst echt kalt ist. 
Wir haben mittlerweile zwei heißgeliebte Surfbretter im Haus rumstehen.
Wir sind nicht mehr überall zu spät dran, wir haben uns an die für die Erbs absurd frühen Zeiten gewöhnt und waren diese Woche rechtzeitig auf dem Markt, vor Küchenschließung im Restaurant und sind nicht erst am Strand angekommen, als alle anderen schon im Stau nach Hause standen. 
Und ich habe mich heute bei einem kleinen Spaziergang dabei ertappt, dass ich einfach nur so herumgelaufen bin, OHNE darauf zu achten, was für wunderbare Berge mich umgeben. Ich habe mich dann aber schnell zusammengerissen und die Berge und ihre Schönheit wieder bewundert undmich daran erfreut, denn so soll es sein.

Kommentare

  1. Und ich bin heute ganz allein und ohne dich in herrlicher Sonne hinter dem PRM spazieren gewesen.... irgendwie haben mir unsere Gespräche gefehlt... LG, Billy

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    1. Liebe Billy, ich bin immer nur einen Anruf weit weg :)

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