Load shedding

Um ein Thema kommt in Südafrika niemand rum: load shedding.
Load waaas?
Load shedding.

Load shedding ist ein etwas euphemistischer Ausdruck für eher unvorhersehbar angesetztes und mal mehr, mal weniger gut voraussagbares Abschalten des Stromnetzes nach einem rotierenden System. Und Abschalten des Stromnetzes meint genau das, nach was es klingt: Stromausfall.

Den Begriff load shedding gibt es seit 2007, als dem nationalen Stromanbieter Eskom auffiel, dass sie den Strombedarf des Landes nicht mehr decken können. Um landesweiten Blackouts vorzubeugen, die eine verheerende Auswirkung hätten, begann man, das Land in verschiedene Gebiete einzuteilen und den Strom nach Plan gebiets- und zeitweise abzuschalten. So darf jeder mal ran. Load shedding eben. Das hat verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Sicherheit im Land, nur eben nicht ganz so verheerende wie ein landesweiter, ungeplanter Blackout.
Ursprünglich hatte Eskom angekündigt, dass der Zustand maximal fünf bis sieben Jahre anhalten würde. Misswirtschaft und massivste Korruption haben jedoch dafür gesorgt, dass daraus mittlerweile 16 Jahre geworden sind und eigentlich auch kaum Besserung in Sicht ist. Profitiert haben von der Sache ein paar Leute vom ANC, die nun wohl sehr, sehr reich sind und die Hersteller von Gasherden, Generatoren, Backupsystemen für WLAN-Router und aufladbaren Lampen.
Ich glaube, die Jungs dachten, sie bekommen da ein spaßiges kleines Gimmik, als sie an Weihnachten ihre akkubetriebenen Schreibtischlampen ausgepackt haben. Nun haben sie die Lampen fast täglich im Einsatz. 

Marode Kohlekraftwerke mit veralteter Technik laufen fleißig weiter, müssen regelmäßig für Wartungsarbeiten vom Netz genommen werden und gehen nicht ganz so regelmäßiger wieder zurück ans Netz.
Auch hier laufen Kohlekraftwerke weiter, weil man die Wählerstimmen der im Bergbau Beschäftigten nicht riskieren möchte. Die Leute, die Solaranlagen auf ihre Dächer bauen, sind vermutlich ohnehin nicht das Wählerklientel des ANC. 
Ein völliger Irrsinn, das mit der Kohle. In einem Land, in dem Kohlekraftwerke maßlos veraltet und ineffizient und Wind und Sonne in solchem Überfluss vorhanden sind.
Aber es tut sich langsam was. Zaghaft wird privaten Investoren gestattet, Strom aus Solar- und Windenergie ins Netz einzuspeisen. Ein Windrad allerdings haben wir noch nicht gesehen und auch Solaranlagen auf Privathäusern sind eher die Ausnahme als die Regel.

Ich mach jetzt übrigens ein kleines Päuschen hier beim Schreiben. Ihr werdet es später beim Lesen nicht mitbekommen. Aber ich bin kurz weg. Meine Haare föhnen. Die App warnt: In 7 Minuten beginnt load shedding. 


Wir haben uns erstaunlich schnell eingefunden in so eine load shedding Routine. Morgens ziehe ich als erstes durchs Haus und sammle alle Lampen, Powerbanks, Computer und was eben einen Akku hat, ein, um sie aufzuladen. Sofern gerade Strom da ist. Ein Blick auf die App verrät, ob es Toast gibt oder besser Müsli und ob man noch ganz schnell eine Ladung Wäsche anstellen sollte. Beim Einkauf wird schnell gecheckt, ob man Ofenkartoffeln zum Abendessen machen kann oder ob es doch Salzkartoffeln werden. Der Gasherd, ja, der ist ein guter Freund. Ich weiß gar nicht, wie Leute mit Elektroherd das machen. 
Neulich las ich in einer Kolumne von jemanden, der versucht hat, auf seinem Grill Nudeln zu kochen. Ich kann Euch verraten, dass es nicht funktioniert hat. 
Warum er auf dem Grill nicht gegrillt hat? 
Weil man ja auch nicht jeden Abend grillen kann.

Am liebsten mag ich load shedding, wenn mich nachts mal wieder die Nachttischlampe grell brüllend aus dem Schlaf reißt, weil sie eingeschaltet war, als der Stromausfall begonnen hat und ich vergessen haben sie auszuknipsen. 
Und dieser Strom arbeitet so furchtbar unselektiv, wenn er bei Rückkehr alle Elektrogeräte wieder anschaltet. Obwohl er doch wissen sollte, dass er zwar immer herzlich gerne die Spülmaschine und den Kühlschrank weiter betreiben darf, wir nachts um 2.30 aber nur sehr selten das ganze Haus wieder beleuchten möchten. Neulich wurden wir fast aus dem Bett geweht, als der Ventilator mitten in der Nacht auf voller Stufe losstürmte. Wir hatten mit seiner Hilfe vor dem Schlafen eigentlich nur ein bisschen lüften wollen. 
In der Stadt versuchen unerschrockene Polizisten mehr oder weniger erfolgreich, den Verkehr auf den großen Straßen zu regeln, wenn der Strom mal wieder ausfällt und mit ihm die Ampeln. Speisekarten in Restaurants sind load shedding abhängig, Bier vom Fass gibt es nur mit Strom und eine Navigation in einem unbekannten Stadtteil kann zur Herausforderung werden, wenn das Backupsystem für die Mobilfunkmasten offenbar ebenfalls ausgefallen ist und man so weder Zugriff auf mobile Daten noch auf Handyempfang hat.
Aber wir vergessen nicht, was das für Luxusproblemchen sind, die unser Leben einfach nur ein bisschen herausfordernder oder abwechslungsreicher machen und alle zu bewältigen sind. Es gibt sehr viele Leute in diesem Land, die bei load shedding abends in der Dunkelheit nicht gefahrlos aus der Arbeit nach Hause gehen können. Die ihre Werkstatt oder ihr Geschäft nicht betreiben können. Deren Schul- oder Berufsausbildung beeinträchtigt ist. Deren ärztliche Versorgung nicht gewährleistet ist, da nicht alle Krankenhäuser vom load shedding ausgenommen sind. 
Wenn es wie letzte Woche bis zu 12 Stunden am Tag keinen Strom gibt, braucht man nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Lebensmittelproduzenten Kühlketten nicht mehr aufrecht erhalten können, die Züge des öffentlichen Nahverkehrs anfällig für Störungen werden, die Kriminalitätsraten aufgrund von Dunkelheit und ausgefallenen Alarmsystemen in die Höhe schießen, die Wasserversorgung hin und wieder kollabiert, weil die Pumpen zu lange vom Stromnetz genommen werden und die Abwasserentsorgung und Wasseraufbereitung gefährdet sind. Erst vor wenigen Tagen habe ich die Warnung gelesen, dass in bestimmten Regionen die Leute aufgerufen sind, das Trinkwasser abzukochen, da es aufgrund von load shedding zur Beeinträchtigung der Wasserqualität kommt.

Je nachdem, wie schlimm es gerade mit dem Stromnotstand ist, gibt es verschiedene Stufen. Genaugenommen derer acht. In der letzten Woche hatten wir fast durchgängig Stufe 6. Das bedeutet ca. drei Mal am Tag vier bis viereinhalb Stunden ohne Strom. Folgt dann ein Tag auf Stufe 2, an dem man nur zweieinhalb Stunden auf Strom verzichten muss, kommt es einem richtig luxuriös vor. 
Zwischen den Stufen wird relativ häufig und spontan gewechselt, so dass es schwierig ist, sowas wie einen Wochenplan zu erstellen. Flexibilität ist das Schlagwort aber auch das fällt uns als Privatpersonen sehr viel leichter, als wenn wir ein Unternehmen oder gar ein Krankenhaus zu führen hätten.

Zumindest für eines ist load shedding immer gut: als Gesprächsthema. 
Und als Entschuldigung für eigentlich alles. Steckte man doch unterwegs in einem Stau, weil die Ampeln nicht funktionierten, konnte man doch nicht anrufen, weil man keinen Empfang hatte, ist man mal wieder nicht erreichbar, weil man vergessen hat, das Handy rechtzeitig aufzuladen....

Ich bin gespannt, wie das weitergeht in den nächsten Jahren. Die Zahlen sind schwindelerregend, die in den Nachrichten vorgetragen werden, wie viel load shedding dieses Land kostet. Es gäbe vieles, wo das Geld sinnvoller, sehr viel sinnvoller eingesetzt wäre.





 



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