Blick nach Mordor

Eigentlich war es ein sehr ruhiges und beschauliches Wochenende, so unspektakulär, dass ich kaum davon erzählen würde. Beachvolleyball für Sandi, ein kleiner Magen-Darm-Infekt für Philipp, ein bisschen am Pool abhängen für Raphael und mich. Dann noch ein Ausflug zum Fish & Chips Stand in den Ort, wo wir die Wartezeit überbrückt haben, die Robben zu beobachten, die über die Felsen glitschten und auf Futterspenden warteten (wir, das kann ich sagen, haben unseren Fisch selber gegessen!), nach Llandudno zu Strand, wo das Wasser tatsächlich mal so warm war, dass man es baden gehen nennen konnte, was wir da gemacht haben und man es nicht als Kaltwassertherapie bezeichnen musste. Es war herrlich. Sandi und Raphael kamen ganz aufgeregt aus den Wellen mit ihren Bodyboards, weil zwei Robben sich den Spaß gemacht hatten, ebenfalls in der Brandung zu spielen. Raphael stellte, die Robben könnten besser surfen als er. Mag daran liegen, dass sie schon ein bisschen mehr Zeit zum Üben hatten.

Gestern waren unsere Jungs erfreulicherweise beide schon mit Klassenkameraden verabredet und wir haben einen kleinen Spagat hingelegt, damit wir beiden das Treffen ermöglichen konnten. Raphael mittags an der V&A Waterfront, einem riesigen Shopping-Restaurant-Büro-Entertainment-Komplex am Hafen in alten Werftgebäuden und Philipp am späten Nachmittag im Kino.

Als wir dann abends gerade zu Hause angekommen waren mit einem Auto voller Einkäufe und Sandi nochmal los ist, um Philipp abzuholen, fing ich in aller Seelenruhe an auszupacken und zu kochen und wunderte mich ein wenig über den Geruch. Es roch nach Lagerfeuer oder als ob jemand grillte. Aber es war zu spät, als das normale Leute zum Abendessen grillen. 
Raphael wurschtelte ein wenig in der Küche mit, als Philipp anrief, wir ihn aber aufgrund der schlechten Verbindung nicht hören konnten. Wenig später hupte ein Sandi wild vor dem Haus und wir fragten uns, was er es gar so eilig hatte. Ob er den Schlüssel vergessen hatte? Aber wie wäre er dann beim Tor hereingekommen? Da wir uns erstmal fragend anschauten und nicht sofort zur Haustür stürmten, stand zwei Sekunden später ein sehr wütend wirkender Sandi vor der Tür und schrie uns an, warum wir noch im Haus seien und wir hatten noch immer keinen blassen Schimmer, was wir verbrochen hatten und warum zum Teufel sollten wir nicht im Haus sein? Ich putzte doch gerade einfach nur friedlich Pilze... Sandi wies uns an, aus dem Fenster zu schauen und was wir dort sahen, veranlasste tatsächlich auch Raphael und mich zur Eile. Ich rannte ins Schlafzimmer, holte die Pässe, schmiss aus irgendeinem Grund mein Fernglas mit in die Tasche, genauso wie meine Schilddrüsentabletten und raus waren wir aus dem Haus!

Vor dem Küchenfenster loderte ein Waldbrand!


Und nicht nur vor dem Küchenfenster. Der gesamte Hang hinter dem Haus stand in Flammen. Und ich frage mich, wie wir das nicht hatten mitkriegen können! Immerhin war es schon fast dunkel! 
Der Wind stand genau in unsere Richtung und wir fuhren nichts wie los. Beim Nachbarn hielten wir kurz an, um ihn nach seiner Einschätzung zu fragen. Auch er hatte das Feuer noch nicht gesehen! Seine Kinder entdeckten es in dem Moment, in dem wir vor seinem Haus hielten. Er zögerte, murmelte zunächst etwas wie 'We've had worse before.', als er die Lage und die Windrichtung jedoch etwas genauer untersuchte, wies er seine Familie auch an, sich zur Evakuierung bereit zu machen.
Wir fuhren also los mit unseren Pässen, einem Fernglas und Schilddrüsentabletten und warteten in sicherer Entfernung etwas ab. Anwohner verließen mit ihren Kindern fluchtartig das Gelände, während Schaulustige in die andere Richtung auf das Gelände fuhren, um das Feuer aus der Nähe betrachten zu können. Schrei! 
Bald war die Feuerwehr da, sie fanden wohl allerdings etwas schwer Zugang zum Feuer. Der Schutzengel dieser Siedlung muss das mitbekommen haben, denn der Wind drehte und trieb das Feuer nun nicht mehr auf die Häuser zu, sondern den Hang hinauf.
Das war, als wir kurz zurückkehren wollten, um ein paar mehr Sachen aus dem Haus zu holen. Die Siedlung lag in dichtem Rauch, alle Leute waren auf der Straße, die Feuerwehr rauschte kurz herein und wieder hinaus und die Nachbarn machten sich ein Bild von der Lage von unserem Balkon aus, der einen Panoramablick über das Feuer bot. Ich glaube, ich habe noch nie etwas gesehen, das so beängstigend und zugleich so schön ist. Die gellen, fast weißen Flammen der gerade frisch entzündeten Bereiche und die tieforangenen bis roten Feuer und Glutnester, die fast den ganzen Berg einnahmen. Dazu das Knistern und Lodern und sich unendlich klein zu fühlen und nichts tun zu können, als daran zu glauben, dass am Ende alles gut sein wird. 
Die Jungs und ich standen dort und wir hatten wie wir später herausfanden alle einen Gedanken: 
so muss Mordor aussehen.

Die Nachbarn gaben uns zwar einerseits fifty-fifty, beruhigten uns aber ein wenig, dass die Feuerwehr zur Evakuierung aufrufen würde, wenn es nötig sei und dass wir gerne bei ihnen im Haus mit warten dürften, wie sich die Lage entwickelte. Das waren die Nachbarn gegenüber, die eine beruhigend vegetationsfreie Straße zwischen sich und dem Feuer hatten und denen ich für ihr freundliches Angebot sehr dankbar war.

Wir taten es jedoch dem Nachbarn gleich, der wie wir an das Brandgebiet direkt angrenzte:
Wir packten ein paar Sachen ein, hatten diese griffbereit und das Auto startklar. Dann nahmen wir die Gartenschläuche und begannen, den Garten zu wässern, damit die heftig herüberwehenden Funken nichts in Brand stecken konnten. 

Dankenswerterweise pendelte der Wind in einer für uns günstigen Richtung ein und so war der Spuk nach ein paar aufregenden und verrauchten Stunden vorbei und es gab im wahrsten Sinne des Wortes wieder Luft zum Atmen.
Was blieb, waren ein qualmender Berg, ein mit Asche bedecktes, nach kaltem Rauch stinkendes Haus, ein Berg Klamotten, der gewaschen werden muss, weil alles nach Lagerfeuer mieft, eine sehr hungrige Familie, die erst sehr spät am Abend weiter Pilze putze, sehr große Dankbarkeit für all die mutigen Feuerwehrleute, die zwischen Dunkelheit und Feuersbrunst den Berg hinaufgestiegen sind (und für die  der Wind alles andere als günstig stand), und eine erstaunlich ergreifende, gespenstische Stille und Dunkelheit da draußen, in der die uns hunderte von rot glühenden Augen vom Berg aus anblickten.

Schon beim sehr späten Abendessen lachten wir, als ich auf Sandis hektisch zusammengeraffte Sachen blickte, und ihn fragte: 'Du nimmst zwei Handvoll Sachen mit, die Dir wichtig sind, und da ist Dein Aftershave dabei?' Ich meine, ja, wenn es hart auf hart kommt und einem das Haus unter Hintern abbrennt, dann möchte man wenigstens sein Aftershave dabei haben für ein bisschen Wohlbefinden. Ich muss ihn mal fragen, ob er einen dazugehörigen Rasierer auch eingepackt hatte. 
Wir haben dann alle preisgegeben, was wir bizarres eingepackt haben: Raphael hatte als erstes seine Zahnbürste und sein Deo eingepackt. Man weiß ja nie, wo man DAS wieder herkriegt und dann steht man Ende in Südafrika ganz ohne Deo da. Philipp und ich hatten BEIDE als erstes zum eBookreader gegriffen. Aber ist ja auch völlig logisch. Man kann ohne alles Leben. Aber nicht ohne Bücher. Blöd nur, dass ich die Brille dagelassen hätte, die beim Bücherlesen normalerweise so gute Dienste leistet. Aber einen Bikini hätte ich dabeigehabt und einen Wollpullover. Und Kekse. Weil dann hätten wir wenigstens einen Happen zu essen gehabt...

Was hättet Ihr wohl eingepackt? 

Kommentare

  1. Simone Stahlberg23. Januar 2023 um 18:07

    Das ist ja schrecklich!!!! Gut dass euch nichts passiert ist und die Siedlung unversehrt geblieben ist. Unglaublich! Wahrscheinlich auch ganz gut, dass ihr bald umzieht, oder? Die Aussicht auf die Brandstelle dürfte noch eine Weile bleiben. Oder seid ihr schon umgezogen?

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Simone, wir ziehen am 31.1. um. Es sieht nicht mehr so schön aus hinterm Berg. Aber zumindest dieses Jahr könnte nichts mehr abbrennen ;)
    Der Blick nach vorne ins Tal ist unverändert schön. Und was zählt ist, dass alle Häuser noch stehen und niemand verletzt wurde.
    Ganz liebe Grüße
    Antonia

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Antonia,
    Gott sei Dank geht's Euch gut. Alina konnte es sowas von verstehen, dass man das Feuer nicht bemerkt beim Pilzeputzen.😉 Sie hätte Kopfhörer mitgenommen und das Handy ohne Ladestecker .... und die Katze. Medikamente sind echt schlau. Die hätte ich vergessen.🤪 Viel Glück im neuen Haus.
    Viel Grüße,
    Mira

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf unserem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://kindundkegelsackundpack.blogspot.com/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google unter https://policies.google.com/privacy?hl=de