Pilgern mit zwei Göttern

Wenn gestern der harmonischste Tag war, dann war heute mit Sicherheit der beeindruckendeste, anstrengendste, interessanteste und überwältigendste Tag, den wir bisher hatten und mit Sicherheit auch für lange Zeit haben werden.
Nichts Böses ahnend hatten wir uns für einen Tagesausflug das Ziel mit dem wohlklingenden Namen Duftpagode, auch Parfumpagode genannt, südlich von Hanoi ausgesucht. Es sollte sich dabei um Tempelanlagen auf einem Berg handeln, die man über eine Bootsfahrt in kleinen Ruderbooten auf romantischen Wasserwegen und durch eine spektakuläre Landschaft erreichen sollte. Die Duftpagode ist eines der wichtigsten Pilgerziele Vietnams und zur Zeit ist Pilgerzeit.
So wie beschrieben war auch alles. Was wir uns aber in unseren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können ist, was Pilgerzeit bedeutet und dass dort nicht ein paar Mönchen hinpilgern sondern tausende und abertausende von Vietnamesen und der Trubel, der dort herrschte ist eigentlich nicht in Worte zu fassen, man muss das gesehen, gehört, gerochen und gefühlt haben.

Für uns war allein schon die Anfahrt mit dem Bus so fesselnd, dass ich ständig aus dem Fenster sehen musste. Kleine Dörfer, neu angepflanzte Reisfelder in frischem Maigrün, Frauen beim Stecken der Setzlinge, Männer und Wasserbüffel, Wasserkanäle, Tempelanlagen und Friedhöfe inmitten der Reisfelder.
Das letzte Stück bis zum Fuß des Berges legt man mittels so genannter Sampans zurück. Man könnte sie auch schlicht Ruderboote nennen. Die Ruderbootfahrt dauert etwa eine Stunde. Eine lange Stunde für unser Raphaelchen aber auch er hat sich wacker geschlagen und die Sache überstanden, ohne über Bord zu gehen. Aber auch für den Fall hätten wir vorgesorgt gehabt und den Jungs Schwimmflügel verpasst. Zur großen Erheiterung der vietnamesischen Pilger. Das war uns aber egal, lieber das Gespött des Tages sein als abzusaufen.
Die Bootsfahrt war in der Tat sehr angenehm. Die Landschaft wunderschön mit ihren Bergkuppen und dem satten Grün von Bambus und Feuchtwiesen. Am Fuß des Berges wurden wir mit tausenden von Leuten ausgeschüttet, um den Berg zu erklimmen. Der gesamte Weg vom Anleger bis zum Tempeleingang ist gesäumt von Ständen, die Essen, Gegenstände für religiöse Riten, Blumen, Souvenirs, Kleidung, Getränke, Spielwaren oder für uns unkategorisierbare Dinge verkaufen.
Fleischangebot am Anleger
Unten am Anleger ist man gleich mal überwältigt von der riesigen Anzahl an Essensständen und deren Angebot. Es gibt so harmlose Dinge wie Baguettes oder Würstchen und daneben den (wie irrtümlich angenommen in China zurückgelassenen) verzehrfertigen Hund oder Kobraschnaps. Und Kobraschnaps ist wirklich in Schnaps eingelegte Kobra. Wahlweise auch andere Schlangen oder Skorpione. Riesige hirschartige Tiere hängen an Haken von der Decke und auf Wunsch des Gastes wird ein Stück heruntergeschnitten und zubereitet. All das wirkt aber sonderbarerweise gar nicht abschreckend sondern gehört hier einfach dazu. Nachdem man es dann bis zum Beginn des eingentliches Anstiegs geschafft hat, kann man sich in einem der Restaurants stärken, was wir auch getan haben mit einem hervorragenden (garantiert hundefreien) Mittagessen aus Reis, Tofu, Fisch und Omelette. Als Alternative zum Aufstieg zu Fuß kann man nun eine Seilbahn wählen, was wir gern getan haben, da wir die Kinder in dem Gedränge sicher nicht so ohne weiteres den Berg hinaufbekommen hätten.
Oben dann noch mehr Stände mit roten und goldenen Dingen, deren Hintergrund und Verwendungszweck und nach wie vor nicht so ganz klar sind. Vielleicht sollten wir mal einen Buddhismus-Crashkurs machen.
Eingang zur Duftpagode
Ganz oben geht es dann über eine Treppe in die Duftpagode hinunter, welche eigentlich keine Pagode ist, sondern eine Tropfsteinhöhle mit einem riesigen Gewölbe, in der einige Altare stehen, vor denen die Gläubigen beten und Gaben niederlegen und beim Anblick zweier dunkelblonder Kinder alle Zurückhaltung, Höflichkeiten und Grenzen der Intimsphäre vergessen und dutzendfach über die armen Kinder herfallen, ob die wollen oder nicht. Diese zwei Kinder in dieser Grotte scheinen etwas nahezu Göttliches dargestellt zu haben und das Berühren ihrer Haare und Wangen muss dort wohl noch viel mehr Glück bringen als es normalerweise tut. Ich bin ja eigentlich sehr entspannt, was das Fotografieren und Anfassen und Begrüßen der Kinder angeht und wir versuchen immer ihnen zu erklären, warum die Leute so interessiert an ihnen sind, aber heute ging es selbst mir dann sowas von zu weit. Wie kann man denn einem 2jährigen, der sehr deutlich zum Ausdruck bringt, dass er nicht angefasst und fotografiert werden möchte - und Raphael kann das wirklich SEHR deutlich zeigen - mit der Kamera hinterherrennen und selbst, wenn die Mutter das Kind auf den Arm nimmt und das Gesicht mit der Hand verdeckt  und der Vater wiederholt NO PICTURE! sagt, dem Kind trotzdem weiterhin die Kamera ins Gesicht zu strecken versuchen.
Zurück ging es dann zu Fuß über einen schier endlosen Weg aus Treppen und Rampen, komplett gesäumt von Ständen und kleinen Garküchen. Dann an den Hundeständen vorbei zurück zu unserem Boot und erstmal ausruhen und durchatmen nach all den Eindrücken und dem schweißtreibenden Abstieg mit dem schlafenden Raphael auf dem Rücken.
Beim Warten auf den Bus musste Philipp aufs Klo und zunächst wunderte ich mich darüber, dass uns ein Mann als wir suchend auf dem Gehweg standen, um zu schauen, wo Philipp auf die Toilette gehen konnte so hilftsbereit den Weg zeigte. Hinterher war schnell klar warum, es war seine Toilette für deren Benutzung er von uns Geld haben wollte. Das sollte er auch haben, der Betrag jedoch, den er von uns forderte war so übertrieben unverschämt, dass ich ihm den nicht bezahlen wollte. Während der Diskussion fing er an, sich mit Philipp zu beschäftigen, kniete sich kurzerhand neben Philipp und machte mit seinem Handy ein Fotos von sich und Philipp, woraufhin wir den Spieß kurzerhand umgedreht haben und von ihm für das Foto zufälligerweise den gleichen Betrag verlangt haben, den er für den Toilettenbesuch veranschlagt hatte. Mensch, hat der blöd geschaut.... auf den geforderten Betrag allerdings auch nicht mehr bestanden...

Alles in Allem war der Tag allerdings so aufregend und interessant, das ich immer noch ganz geplättet bin angesichts der ganzen Eindrücke, die dort auf uns eingepresselt sind. Deshalb gibt es morgen auch einen ruhigeren Tag, bevor wir am Mittwoch aufbrechen zur nächsten Etappe, deren Ziel noch nicht endgültig feststeht.

Kommentare

  1. eure jungs scheinen ja wirklich goetter zu sein, wenn sie das immer alles mitmachen. alle achtung!

    mal wieder liebe gruesse aus cbr! eure antje.

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  2. Gestern waren sie wirklich einzigartig, das muss man schon sagen. Mit der Heiligkeit war es heute allerdings dahin und heute waren unsere zwei Götter kleine Teufelsbraten... aber auch das sei ihnen mal vergönnt, auch wenn's nicht wirklich zur guten Stimmung beiträgt.
    Grüße zurück!

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